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Liebe und Selbstbewusstsein

Kürzlich gab ich meinen ersten „Kleinen Philosophischen Salon“ in diesem Jahr.
Das Thema war: Liebe.
Das ist doch kein Philosophisches Thema, höre ich, das ist doch etwas für Yellow Press, Psychologen oder Sexspezialisten. Oder für kitschige Schlager oder rosarote Engelchen und Herzchen-Bildern auf facebook. Aber ist Liebe auch philosophisch interessant? Und wenn ja, wie nähert man sich diesem Thema in einem philosophischen Salon?
Da ich aus meiner Arbeit als Selbstbewusstseins-Trainerin davon überzeugt bin, dass Liebesfähigkeit und gelebte Liebe in Form von Mitgefühl, von Konfliktfähigkeit und von einem hilfreichen Umgang mit anderen Menschen sehr viel mit Selbstbewusstsein zu tun haben, scheint es mir besonders auch in beruflichem Kontext interessant und wichtig zu fragen: Was ist das eigentlich: Liebe?
Ist Liebe nur ein Gefühl? Ist sie nur ein hormongesteuertes neuronales Phänomen? Ist sie ein tierisch-instinktives Verhalten von Menschen, um die Fortpflanzung zu garantieren?
Wo spielt Liebe überhaupt eine Rolle? Und wie bringen wir sie zum Ausdruck?
Interessanter Weise ergab sich in meinem „Kleinen Philosophischen Salon“ ein Blumenstrauß an Perspektiven, je nach dem Alter und der aktuellen Lebenssituation der Gäste Meine Gäste waren junge und ältere Menschen, die Jüngste war 19, der älteste Gast 70 Jahre. Und fast wie zu erwarten war, dachten fast alle zunächst einmal an die persönliche Beziehungsliebe, an die erotisch begründete Liebe von Mann und Frau und von anderen Liebes-Partnern.
Ein Gast, selbst Mutter und Großmutter, thematisierte besonders die Mutterliebe, die stärkste Nächstenliebe, die wir kennen. Die Liebe zu Kindern und von Kindern ist vielleicht heute die ehrlichste und verlässlichste Liebe überhaupt.
Wir sprachen auch über die Nächstenliebe, die Liebe ganz allgemein zu anderen Menschen, nämlich die Form der Liebesfähigkeit, die zum Beispiel auch im Berufsleben bedeutungsvoll ist. Nächstenliebe in Form von Empathie macht den Unterschied zwischen einem wirklich guten Team, von freundschaftlicher Kooperation gegenüber Konkurrenz und Mobbing am Arbeitsplatz aus.
Ich will gleich antworten auf meine eingangs gestellten Fragen, ob Liebe nur einfach ein Gefühl ist oder doch mehr und wo Liebe eine Rolle spielt.
Ja, Liebe wird gefühlt. In der liebenden Person empfundene, als glückliches, erweiterndes, Freude bereitendes, angenehmes, lebendiges Gefühl. Insofern ist lieben ein schöpferischer Akt. Es kommt aus dem tieferen Sein hervor. Es ist ein aktiver innerer Prozess, den wir auf eine Projektions-Person, das Kind, den Freund, die Geliebte, den geschätzten Mitarbeiter beziehen.
Wir projizieren unser eigenes, in unserem Gehirn und Körper erzeugtes Gefühl der Zuneigung, Freundlichkeit, Güte, Freude auf andere Menschen. Wen wir lieben, wen wir mögen, wen wir gern haben, dem wünschen wir ehrlich Gutes. Ohne Erwartung. Und wir geben gerne Wohlwollen ohne Berechnung. Das ist „Nächstenliebe“.
Echte Liebesfähigkeit setzt voraus, dass wir uns selbst im Wissen um unsere Nichtperfektion annehmen und uns selbst vertrauen. Dass wir uns selbst lieben. Wenn wir diese Beziehung zu uns selbst wahrnehmen, wenn wir gut zu uns selbst sein können ohne schlechtes Gewissen, können wir auch anderen Menschen diese Güte und Freundlichkeit – vorbehaltlos und nicht als Geschäft – schenken. Ich muss nicht leisten und etwas tun, um geliebt zu sein. Ich weiß voller Vertrauen: ich bin liebenswert. Ich bin geliebt.
So haben wir auch „Selbstliebe“ von „Egoismus“ abgegrenzt: wer ist das ICH, das liebt und Liebe gibt? Ohne die Forderung, dass ich bitte schön in gleicher Münze zurück bezahlt werde. Und wie verhält sich der Egoist gegenüber dem Mitmenschen? Er nimmt ausschließlich und in erster Linie seine eigenen Interessen, seinen eigenen Gewinn wahr und gibt anderen Aufmerksamkeit und Zeit nur im Fokus von: What`s in for me? Geben und Beziehung als Geschäft. Geben und Nehmen als ein Prozess von möglichst viel bekommen für möglichst wenig geben. Die Kosten müssen geringer sein als der Gewinn. Das ist Egoismus, nicht Selbstliebe. Der Egoist agiert aus einem tiefsitzenden Mangelgefühl. Gerade weil er sich nicht wirklich lieben kann, giert er unersättlich nach Zugewinn von außen.
Die alten Griechen in der Blütezeit der westlichen Philosophie (7. bis 2. Jahrhundert v. Chr.) hatten noch eine ziemlich andere Vorstellung und von Liebe als wir heute und sie setzten völlig andere Akzente zum Thema Liebe. In dieser Zeit der Athener Demokratie kannte man keine Gleichberechtigung von Mann und Frau und es gab Sklaven.
Nur gebürtige Athener Männer waren Träger von politisch-demokratischen Rechten. Und in diesem antiken Griechenland gab es die Päderastie, die Knabenliebe. Diese geistig und zugleich sexuelle Beziehung zwischen einem pubertierenden Jungen und einem erwachsenen Mann war aufgrund seines pädagogisch-orientierten Charakters nicht nur allgemein akzeptiert, sondern hatte sogar einen sehr hohen Stellenwert als Liebesform. Diese Liebe war eine Form des éros, also der körperlichen Liebe, die mit einem sehnsuchtsvollen Begehren verbunden ist. Ging sie mit Vernunft einher, so war diese Liebe eine edle Form der persönlichen Liebe. Ohne Verstand wurde die erotische Liebe als potenziell „daimonisch“ und zerstörerisch angesehen.
In den Schriften des berühmten Philosophen Platon (428-348 v. Chr.) erfahren wir von den verschiedenen Formen der Liebe, des éros, der filía als der freundschaftlichen Liebe und der agápe
als Liebe zum Transzendenten, zum Göttlichen, zu der Welt ewiger Ideen und Ideale.
Die Liebe zu Frauen, insbesondere die eheliche Liebe, hatte dagegen damals offenbar keine gesellschaftliche, geschweige denn eine philosophische Bedeutung, sie war eine „Hausangelegenheit“.
Für den eine Generation jüngeren Epikur (von Samos, ca.341-271 v.Ch.) war dagegen die Glückseligkeit bringende Freundschaft die höchste Form der Liebe, in die er in seiner Philosophischen Schule in Athen auch Sklaven und Frauen einbezog.
Durch die Christliche Philosophie gewinnt die Gottesliebe und die Nächstenliebe, die agápe, höchste Bedeutung und die wichtigste christliche Botschaft ist: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“
Wie geht denn das, sich selbst lieben? Sehr viele Menschen erfahren diese Ur-Liebe als Kind nicht. Wir werden nicht um unserer Selbst Willen geliebt, sondern um unserer Leistung und ihres Gehorsams Willen. Gefügige Kinder, brave Jungen und liebe Mädchen werden gelobt, geliebt und belohnt.
So glauben wir: nur wenn sie perfekt sind, dem gegenwärtigen Schönheitsideal – besonders den körperlichen Idealbildern – entsprechen, halten sich sehr viele Menschen heute für liebenswert. So werden wir vom Mainstream und den Medien dahin „genudged“ („nudging“ ist eine Methode, mit der das Verhalten von Menschen auf systematische und vorhersagbare Weise beeinflusst wird) so zu sein, wie wir sein wollen sollen und nicht so wie wir sind.
Wer sich aber selbst unbewusst stetig kritisiert und sich für nicht perfekt befindet, entwertet sich und liebt sich nicht. Und er beurteilt andere Menschen durch die gleiche kritische, abwertende Brille. Da ist kein Raum für „Nächstenliebe“, nicht für Toleranz, für Offenherzigkeit, geschweige denn für „Warmherzigkeit“.
Liebe deinen Nächsten wie dich selbst steht irgendwie nicht im Einklang mit den heutigen gesellschaftlichen und beruflichen, realen Anforderungen an uns. Fast fragt man sich: Könnte Nächsten-Liebe „Dummheit“ sein?
Der Philosoph, Psychologe und Soziologe Erich Fromm, (23. März 1900 bis 18.März 1980), sagte schon ins seinem berühmten Werk und Bestseller „Die Kunst des Liebens“ (Ullstein Verlag, 15. Auflage 2017, Erstauflage 1956 !): „Der moderne Mensch ist sich selbst, seinen Mitmenschen und der Natur entfremdet….Er hat sich in eine Gebrauchsware verwandelt und erlebt seine Lebenskräfte als Kapitalanlage, die ihm unter den jeweils gegebenen Marktbedingungen den größtmöglichen Profit einzubringen hat.“ Ein solches gesellschaftliches Klima, sagt Fromm, sei der Entwicklung von Liebesfähigkeit und Liebe nicht förderlich.
Dies hat natürlich Bedeutung für Empathie (Mitgefühl, Nächstenliebe) in beruflichen Kontexten wie auch in Paarbeziehungen, wenn der Andere nur durch die Brille seiner Nützlichkeit, seiner Brauchbarkeit erfahren wird. Als Scheidungsanwältin habe ich früher öfter den Satz gehört:“ Die Beziehung taugt nichts mehr, es wird Zeit für das NEUE MODELL!“
Einer meiner Lieblingsautoren, der aus Italien immigrierte amerikanische Professor Leo Buscaglia (31. März 1924 – 12. Juni 1998) war überzeugt, dass wir auch als erwachsene Menschen noch lieben lernen können. Er gab an der Universität von Südkalifornien, wo er als Professor lehrte, Vorlesungen und Seminare mit dem einfachen Titel Love. In seinem Buch „Leben Lieben Lernen“ (Mosaik bei Goldmann, 2000) macht Buscaglia deutlich, wie sehr Lieben und ein „ganzer Mensch“ zu sein, ein Selbst-bewusster Mensch zu sein, miteinander zu tun haben.
Ein Liebender, sagt er (nicht zum ersten Mal), „ist ein Mensch, der sich selbst liebt.“
Damit ist nicht die Haltung gemeint, die uns veranlasst „Selfies“ von uns zu machen und in die Cyberwelt zu schicken, sondern der lebendige Mensch, der in aufrichtiger und wohlwollender Weise seiner Selbstentwicklung Raum gibt. „ Aber zu den schwierigsten Dingen auf der Welt gehört es – obwohl es das einfachste sein sollte – du selbst zu sein, festzustellen, wer du bist und was du mit anderen teilen kannst..“ schreibt er. Und: „Wenn dir das gelungen ist, dann setze alles daran, das zu entwickeln, damit du deinen inneren Reichtum an alle anderen weitergeben kannst“.
So steht Liebe also in einem engen Zusammenhang mit Selbsterkenntnis und selbst sein.
„Erkenne dich selbst!“ proklamierte schon ein weiser Spruch am Tempel des Apollon im antiken griechischen Kultort Delfi. Und gleiches soll Sokrates seinen Schülern empfohlen haben: erkenne dich selbst! Dasselbe gilt heute immer noch. Deshalb bedeutet für mich Liebe sich selbst zu erkennen, sich anzunehmen, selbst-bewusst zu sein und „be yourself!“ weiter zu geben.
© Friederike Matheis
13. Januar 2018